Blogbeitrag: Geschichte und Restaurierung des Gavnø-Retabels von Jacob van Utrech

Abb. 1: Vorzustand des Gavnø-Retabels

Das Gavnø-Retabel, das um 1515 von Jacob van Utrecht gefertigt wurde und zu den wertvollsten Werken der Sammlung des Lübecker St. Annen Museums zählt, ist das Ergebnis einer Stiftung.

Auftraggeber war Hermann Plönnies, der später Ratsherr und Bürgermeister der Stadt werden sollte. Der reiche Kaufmann ließ sich und seine erste Ehefrau Ida, geborene Greverade, mit ihren Schutzheiligen, dem Heiligen Matthias und der Heiligen Katharina, prominent auf den Flügen des Altaraufsatzes darstellen.

1531 verließ Plönnies die Stadt Lübeck. Über den Verbleib des Retabels gibt es zunächst keine Hinweise. Im 18. Jahrhundert gelangte das Retabel in die Sammlung Reedtz-Thott auf Schloss Gavnø auf der Insel Gavnø bei Næstved auf Seeland, wo es drei Jahrhunderte lang bleiben sollte und seinen Namen bekam, unter dem es bekannt wurde. 1976 gelangte es von Schloss Gavnø in unbekannten Privatbesitz, bevor es 2011 durch das St. Annen-Museum erworben werden konnte und so seinen Weg zurück nach Lübeck fand.

Nachdem das Gavnø-Retabel 2011 für das Lübecker St. Annen Museum angekauft werden konnte, zeigt sich schnell sein restaurierungsbedürftiger Zustand. Die Farben, die für die Malerei Jacob van Utrechts als leuchtend und brillant bekannt sind, wirken dunkel und verschleiert. Malereidetails verschwinden unter einer braunen Schicht, sind kontrastarm und mitunter kaum wahrnehmbar. Bei genauer Betrachtung sind jetzt schon die zahlreichen Malschichtschäden sichtbar. Das Erscheinungsbild des Retabels wirkt fleckig und ungepflegt. Abb. 1: Vorzustand des Gavnø-Retabels

Von Februar 2020 bis April 2021 wird das Gavnø-Retabel aufwendig durch das Lübecker Atelier butt-restaurierungen restauriert. Neben der Konservierung ist die Rückführung historischer Restaurierungsmaßnahmen Ziel der Bearbeitung. Vor der Bearbeitung erfolgt eine restauratorische Untersuchung der bewegten Restaurierungsgeschichte.

 

Untersuchung

Die Tafeln werden in UV-Licht untersucht und fotografiert. Die UV-Untersuchung hilft dabei, Retuschen, ältere Übermalungen und Firnisse sichtbar zu machen. Unter Anregung durch UV-Strahlen besitzt jedes Material eine spezifische Fluoreszenz, die alters- und materialbedingt variiert. So können verschiedene Firnisschichten oder jüngere Retuschen und Übermalungen sichtbar gemacht werden. Während der Rückführung alter Maßnahmen werden bei der Restaurierung UV-Taschenlampen eingesetzt. Mit ihrer Hilfe sind die abzutragenden Firnisschichten und Retuschen exakt lokalisierbar.

Mittels Röntgenstrahlen lassen sich Einblicke in die Konstruktion und die maltechnische Anlage eines Kunstwerks erlangen. Nagelungen, Brettfugen, Risse im Holz und die Auftragsrichtung der Farbmaterialien können sichtbar gemacht werden.

Mikroskopaufnahmen mit dem Video- und Stereomikroskop zeigen Details wie freiliegende Unterzeichnungen, aber auch Werkspuren oder Fassungsschäden in stark vergrößerter Darstellung.

Mit Hilfe eines Technoskopes ist die gezielte Kontrolle einzelner Arbeitsschritte möglich. Während der konservatorischen und restauratorischen Arbeit sind Veränderungen und Auswirkungen der Maßnahmen auf die Oberflächen unmittelbar zu verfolgen und kontrollierbar.

Zur Untersuchung der Schichtenfolge und verwendeter Materialien werden winzige Proben aus der Malschicht entnommen. Die Proben werden in Kunstharz eingebettet, es werden Querschliffe angefertigt und naturwissenschaftliche Analysen durchgeführt. Eine solche invasive Untersuchung gibt Aufschluss über verwendete Pigmente und Bindemittel sowie die Anordnung und Schichtdicke verschiedener Farb- und Firnisschichten an einer bestimmten Stelle des Gemäldes.

Eine weitere schadensfreie Untersuchung erfolgt mit der Infrarotkamera des St. Annen-Museums. Infrarote Strahlung durchdringt aufgrund ihrer Wellenlänge die Farb- und Schutzschichten eines Gemäldes bis zur Grundierung. Dadurch können mit Metallstiften, Kreide oder Tusche angelegte Unterzeichnungen sichtbar gemacht werden. Die Unterzeichnung gibt Aufschluss über Zeichenduktus und Stil bei der ersten Anlage einer Bildkomposition. Kunsthistoriker:innen und Restaurator:innen nutzen die Aufnahmen, um die Arbeitsprozesse von Künstlern besser nachvollziehen zu können oder um Zuschreibungsfragen zu klären. Die Restaurierung wurde zum Anlass genommen, alle Tafeln mit der Infrarotkamera zu untersuchen.

 

Restaurierungsgeschichte

Anhand der Untersuchungen vor und während der Restaurierung konnten zahlreiche frühere Restaurierungsmaßnahmen nachgewiesen werden.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden mehrfach Firnisschichten aufgetragen, wieder entfernt und Malschichtschäden ausgebessert. Die Tafeln wurden verleimt, Risse und Fehlstellen im Holz und in der Fassung gekittet, Retuschen wurden aufgetragen und Teilbereiche vollständig übermalt. Mit jeder Maßnahme ging ein erneuter Firnisauftrag einher. Die Firnisse fungierten in erster Linie als farblose Schutzschicht, sind aber auch, z.B. in pigmentierter Form, gestalterisch und mitunter nur partiell eingesetzt worden.

Da sich Firnismaterialien altersbedingt verändern, wurden die vergilbten und verbräunten Firnisse immer wieder entfernt. Das früher gebräuchliche Firnismaterial Leinöl verbräunt rasch und stark und beeinträchtigt das Erscheinungsbild der Darstellung. Zudem wird Leinöl mit zunehmender Alterung unlöslich. Die schwere Löslichkeit der Leinölfirnisse erweist sich bei den historischen Firnisabnahmen als problematisch, was an den erheblichen Malschichtschäden des Gavnø-Retabels ablesbar ist. In der Vergangenheit wurden wiederholt ungeeignete Lösungsmittel und oberflächenreduzierende Freilegetechniken angewandt. Die dadurch entstandenen Schäden wurden wiederholt durch Retuschen, Nachvergoldungen, Übermalungen und partiell aufgetragene, z.T. pigmentierte Firnisse kaschiert.

Die Außenansichten weisen eine andere Restaurierungsgeschichte auf als die drei Innenansichten. Den Außenansichten wurde bei den historischen Restaurierungen offenbar weniger Aufmerksamkeit geschenkt als den Innenansichten – der Festtagsseite des Retabels. Dem entsprechend sind das Erscheinungsbild und die Vorschädigungen der Malschicht in unterschiedlich intensiver Weise ausgeprägt.

Die historischen Restaurierungsmaßnahmen werden im Zuge der aktuellen Restaurierungsmaßnahme in einer Kartierung dokumentiert. Auf einer Foto-Grundlage werden sie farbig markiert und, soweit möglich, chronologisch geordnet. Die Restaurierungsgeschichte, Schäden und aktuell durchgeführte Maßnahmen sind dadurch nachvollziehbar.

 

Konservierung und Restaurierung

Die Untersuchungsergebnisse und die Restaurierungsgeschichte sind grundlegend für das Restaurierungskonzept. Die Konservierung der fünf Tafelgemälde umfasst die Reinigung, die Verleimung loser Teile sowie die Kittung von Rissen und Fugen im Holz. Zudem erfolgen die Festigung loser Fassung, das Niederlegen hoch stehender Farbschollen und die Kittung von Fassungsfehlstellen.

Entsprechend der unterschiedlichen Restaurierungsgeschichte ist die restauratorische Bearbeitung der Außen- und Innenansichten differierend. Die verschiedene Ausgangssituation an den Innen- und Außenansichten berücksichtigend, werden folgende Arbeitsschritte durchgeführt: Auf allen fünf Tafelgemälden werden die z.T. vergilbten, z.T. verschmutzten und dunkel pigmentierten, nicht originalen Firnisse abgenommen. Auch die alten Farbergänzungen – Retuschen und flächige Übermalungen – werden abgetragen. Jeder der Arbeitsschritte wird gezielt und unter Zuhilfenahme der vorab genannten technischen Hilfsmittel separat ausgeführt. Einige Verfärbungen können nicht entfernt werden. Als Folge einer frühen, unsachgemäßen Restaurierungsmaßnahme haben sich hier Reste eines früheren Leinölfirnisses mit der beschädigten Malschicht irreversibel verbunden. Durch die aktuelle Restaurierungsmaßnahme werden die Malschichtschäden optisch abgemildert. Gestörte Malschichtbereiche werden durch sensible Retuschen beruhigt, neue Schutzschichten werden aufgetragen. Dabei ist es prioritär, die überlieferte Authentizität nicht zu beeinflussen. Alle Maßnahmen der aktuellen Restaurierung sind reversibel und detailliert dokumentiert.

Durch die Kombination aus Konservierung, rückführenden Maßnahmen und der Restaurierung der Farbfassung ist es gelungen, den Eindruck der intensiven Polychromie der Malerei Jacob van Utrechts wieder erfahrbar zu machen. 

Maire Müller-Andrae, Diplom-Restauratorin (FH) für Gemälde und Skulptur, Butt Restaurierungen

 

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